a-e-p

Erlebt

04.09.2007, 11:27

Party am Freitag

"PC-Service" lese ich im Vorbeigehen, doch wir gehen gar nicht vorbei an dem inmitten fünfstöckiger hamburger Mietshäuser platzierten Erdgeschossbau mit gardinenverhangener Schaufensterfront, denn hier findet die Party statt. Christian, der Gastgeber, ist irgendwas Mitte vierzig geworden, er bekommt eine in die MoPo von gestern eingewickelte B-Movie-DVD überreicht. Es wird auf Getränke und Chips hingewiesen und Belangloses gequatscht, bevor Persönliches zur Sprache kommen könnte. Der Raum ist vollgestellt mit Musikinstrumenten und -equipment und einem PC, auf dem ITunes elektronische Musik abspult. Christian bekommt von einer nach uns eintrudelnden Besucherin eine Edith-Piaf-CD geschenkt, die er auf den Computertisch legt und mit zwei anderen Tonträgern abdeckt.
Etwa fünf weitere Gestalten stehen trinkend und kiffend im Nebenraum und der winzigen Küche herum, darunter ein Mittfünfziger, der wie der verstorbene DFL-Präsident Werner Hackmann aussieht. Wir versorgen uns mit Bier und Sekt. Christian weiß, dass Astra schon seit Jahren Holsten ist.
Im Keller ist ein Muckraum, ein Torben oder Sören begrüßt uns beim Eintreten mit Handschlag, ein Schwarzer mit Sonnenbrille versucht sich als Sänger und lobt die Gitarristin: "You are so talented, Julia".
Wieder oben. Noch eine Julia in der Küche, es ist die Frau mit der Piaf-CD. Sie säuft Prosecco wie Limonade und referiert atemlos über ihr Alter (40), Sternzeichen und die Unterschiede zwischen Berlin, München und Hamburg.
Ein Heinz-Rühmann-Lookalike drängt sich durch zur Kaffeemaschine, Werner Hackmann lässt sich ein Bier durchreichen.
Ich steige auf Wasser um, es ist schrecklich verraucht, ich versuche mich nochmal auf dem Kontrabass und den Congas.

Dann wieder hinaus in die Nacht.

11.01.2006, 11:30

Ich steh bald vor eurer Tür

Ich hatte DSL. Dann bin ich umgezogen. Es stellt sich heraus, dass DSL da, wo ich jetzt wohne, nicht verfügbar ist, mein Provider 1&1 klärt mich brieflich darüber auf und schlägt mir vor, einen der ISDN-Surftarife zu nutzen. Ich rufe da an, 12 Cent pro Minute, eine zufriedenstellend kompetente Dame will mir Infomaterialien zu den verschiedenen ISDN-Angeboten zuschicken, nein, für die Kündigung meines DSL-Vertrages sei sie nicht zuständig, gibt mir aber die Telefonnummer. Ich rufe da an, eine Frauenstimme erklärt mir, dass mich alles, was nach dem Signalton gesprochen wird, 99 Cent pro Minute kosten wird. Da steigt schon was in mir hoch. Kurzes Tuten, dann eine andere Automatikfrau, der ich einige Fragen beantworten muss, was ich mit genervter Stimme tue. Als ich bei der letzten Frage aus den Optionen 'Rechnungen', 'Kündigung' und 'andere Vertragsfragen' die Antwort 'Kündigung' wähle, weist mich die coole Frauenstimme daraufhin, dass Kündigungen nur online angenommen würden und wünscht mir einen schönen Abend. 3 Euro sind wohl schon verpulvert, ich bin sehr aufgebracht, versuche es aber nochmal. Durch die Antwort 'andere Vertragsfragen' gelange ich tatsächlich an eine Realperson, weiblich, osteuropäischer Akzent. Nachdem ich ihr kurz und bestimmt mein Anliegen erläutert habe - sofortige vorzeitige Aufhebung des Vertrages, weil 1&1 seine Vertragspflicht nicht erfüllen kann - bittet sie mich, kurz zu warten, sie werde sich darum kümmern. Etwa fünf Minuten höre ich nun Musik, jede Minute kostet 99 Cent, dann ist es still. Nichts passiert. Ich bin unglaublich sauer, aber nachdem ich tief durchgeatmet habe, starte ich einen neuen Versuch. Ich lasse nochmal die beiden Frauen über mich ergehen, die zweite versteht mich bei der letzten Frage falsch und schmeißt mich aus der Leitung. Ich schreie so laut "Aaaaah", dass von oben gefragt wird, ob alles in Ordnung sei. NICHTS ist in Ordnung.
Nochmal. Diesesmal ist eine junge Ostdeutsche dran, von der ich zuallererst verlange, sie solle mich zurückrufen. Geht nicht, sagt sie, die Apparate sind für Gespräche nach draußen gesperrt. Wenn ich ein Mann wäre, würde ich jetzt nach Montabaur fahren und da eine Straftat begehen. Doch wieder stecke ich zurück, wieder schildere ich meine Situation und formuliere meine Forderungen. Sie könne da nichts machen, so die Inkompetente, ihres Wissens seien meine Gründe für eine vorzeitige Auflösung des Vertrages nicht ausreichend, aber ich könne es ja versuchen. Wieso, frage ich sie, können Sie da nichts machen, wer, bitte, soll denn da sonst was machen, wenn nicht sie? Jetzt schüchtere ich schon schüchterne Hotlinemädchen telefonisch ein, das habt ihr aus mir gemacht, T-Com, 1&1, die ganze Telekommunikationsmafia. Ich drohe mit dem Anwalt, aber das ist ihr natürlich egal. Ich lasse mir ihren Namen geben, ich solle jetzt mal nicht laut werden, traut sie sich einzuwenden, ich bin so laut wie schon am Anfang des Gesprächs, entgegne ich und lege auf.

03.10.2005, 11:28

Deutsche einheitlich breit ...

.. stand auf der C90-Kassette, die ein Freund während unserer Einheitsfeierlichkeiten im Keller des Hauses seiner Mutter aufgezeichnet hatte. Eine eilends zusammengestellte Rockkombo, deren Bassist ich war, spielte eine nur aus Variationen der ersten Hälfte des Strophenthemas bestehende und entsprechend jämmerliche Version der Nationalhymne. Danach flüchteten wir uns vermutlich in die übliche Bluessession.
Gegen Ende der Kassette ist die pathetische Radioübertragung des Einheitsaktes am Brandenburger Tor zu hören.

Am 6. Oktober wollten sich der obige Freund und ich selbst ein Bild von den neuen Ländern machen und fuhren mit meinem schwarzmatten Audi 80 Baujahr 1975 Richtung Magdeburg. Wir verließen kurz vor der Ex-Grenze die A 2, passierten Helmstedt und begaben uns über eine nagelneue Kreisstraße nach Sachsen-Anhalt, wo uns eine Kopfsteinpflasterpiste mit hohem Verkehrsberuhigungspotenzial in einer Parallelwelt begrüßte. Wir durchquerten nun einige einander ähnelnde Ortschaften, viele davon endeten mit -leben, und ihre Straßen waren von grauen, unverputzten Schlichtbauten gesäumt. Auf den Straßen und Gehwegen waren - zu Fuß, auf Fahrrädern oder altertümlichen Mopeds - die Ureinwohner dieses fremden Landes zu sehen, die wiederum uns - junge langhaarige Wessis in einem seltsamen Auto - argwöhnisch zu beobachten schienen. In Magdeburg, eine Stadt, die noch zwei Jahre zuvor Lichtjahre entfernt schien, war es dann schon fast langweilig beerdefiziert, man hatte sogar die Parkautomaten aus dem Westen importiert, und an der Elbe sahen wir einen Pizzawagen, der jahrelang vor der hannoverschen Conrad-Filiale gestanden hatte.
Ein Hauch von Abenteuer dann wenigstens noch auf der Rückfahrt, als wir uns nordwestlich von Magdeburg wegen der katastrophalen Beschilderung verfranzten und uns von erfreuten Ex-DDR-Bürgern ("Wir waren auch schon in Wolfsburg") den Weg weisen ließen. Kurz darauf kamen wir an eine wiederum unbeschilderte Kreuzung, am Straßenrand standen schon mehrere Westautos, deren Fahrer über ihren Straßenatlanten lehnten.

Danach sind wir quasi wieder in die 80er zurückgefahren, oder wie immer man das ausdrücken will. Denn: was hat sich für uns im Westen eigentlich geändert, damals? So gut wie nichts.

03.10.2005, 09:24

Letzte Woche

Samstag, 24.9. Arbeitseinsatz im Kindergarten, überkopf Gründerzeitdecken weiß rollen, zweieinhalb Stunden konsequent durchgerockt, pünktlich halb eins nach Haus, beim Einparken die Interessenten noch mit Maklerin vor dem Haus stehen sehen. Oben die Info: Interesse hält an, auch zu unserem Preis, erstmal verdrängt. Sonntag abend Anruf der Maklerin, man will kaufen, und zwar zum 1.12. Weinen oder lachen? Immobilienscout24 gewälzt, Mietwohnungen, nur Schrott in unserer Preislage, Angst vor Obdachlosigkeit. Montag: Notartermin ist am Donnerstag, Käufer sind bezüglich Übergabetermin nicht kompromissbereit, am späten Nachmittag spontane Besichtigung einer 5-Zimmer-Wohnung, sehr angetan, Preis im Rahmen. Verhaltene Euphorie. Im Internet sonst nur Klitschen oder zu teuer, kaufen nicht möglich: bin Freiberufler. Donnerstag morgen beim Notar: trockene Tücher, Beschluss, das jetzt gut und richtig zu finden. Gedanken kreisen um die favorisierte Wohnung, machen weiteren Besichtigungstermin am Samstag fest, hinterlassen unsere Telefonnummer nicht. Samstag, 15 Uhr: plötzlich Panik, Wohnung steht nicht mehr im Internet, bestimmt schon vergeben, fahren hin, bereit zu resignieren. Vermieter steht wie vereinbart bereit. Sitzen um 17.30 Uhr beim Vermieterehepaar zu Haus und unterschreiben einen Mietvertrag zum 1.11. Sind per du.

02.03.2005, 16:20

Sonntag, 27.2.2005

Nach Weckung durch den Sohn um 6.45 Uhr, Verabreichung eines Milchfläschchens und schließlich erfolgreichem Abfinden mit der Notwendigkeit, den Tag zu beginnen, begebe ich mich um acht nach draußen, um für meine Familie und den Besuch Brötchen zu besorgen. Trotzdem ich des Schnees schon beim nächtlichen Klogang ansichtig wurde, bin ich überrascht, wie kalt und glatt es ist. Da die Bäcker in der Nähe mehrheitlich zu Ketten gehören und verachtenswerte Massenware anbieten, bin ich auf das Auto angewiesen, um den Konditor meiner Wahl zu erreichen.
Die Tür des Passats lässt sich mit moderatem Kraftaufwand öffnen und das Kratzen der Scheiben gerät diesesmal nicht zur Qual, da ich glücklicherweise Handschuhe mitführe. Doch als ich nach Verrichtung der Fahrtvorbereitungen die Fahrertür zuziehe, schlägt diese stumpf in den Rahmen ohne einzurasten. Ich kenne das Problem schon, wenngleich ich auch die Ursache nicht vollständig durchblicke – sicher ist, dass Kälteeinwirkung eine Rolle spielt, die Erfahrung lehrt mich außerdem, dass die Tür nach zehn bis fünfzehn Minuten wieder wie gewohnt schließen wird. Da ich aber ungern so lange in der Kälte warten möchte, steige ich nach zwanghafter Verwünschung des ganzen Autos ein und fahre los, unangeschnallt, mit der linken Hand den Türgriff nach innen ziehend.
Beim Brötchenmann angekommen parke ich, steige aus und lehne die Fahrertür an. Dann drehe ich den Schlüssel im Schloss, um ein Abschließen vorzutäuschen, was aber, wie ich entdecke, kein Publikum findet. Drinnen erwerbe ich vier normale Brötchen, ein Sesam, ein Buchweizen, ein Rosinenbrötchen, einen normalen und einen Schokocroissant, bezahle und begebe mich auf den Rückweg. Ich finde einen Parkplatz vor der Haustür und steige aus, ich lasse die Tür zufallen: sie schließt wie gewünscht. Oben in der Wohnung empfängt mich Wärme und ein üppig gedeckter Frühstückstisch. Erste Prüfung des Tages bestanden.

25.01.2005, 09:24

Schröder

Nicht nur Blickfett
Trübt seine Brille
Als er mir im Treppenhaus
Den Fluchtweg kappt.
Intuitiv
Wahre ich Abstand
Einige Dezimeter mehr
Als gewöhnlich
Des Geruches wegen.
Bezeugen soll ich
Das Pfuschwerk der Maler
Im Treppenhaus.
Doch denk ich nur
Ans Essen
Und den Quellcode
Der mir im Auto kam
Als ich falsch parkte.

25.01.2005, 09:22

Birgit Breuel (schenkt Kurze aus)

Es war im Jahr 1990, am 1. Mai. Ein Freund, wohnhaft in einem kleinen Dorf im Herzen Calenbergs, hatte am Abend zuvor zu einem Beisammensein mit Bier, Hasch und lauter Rockmusik geladen und es wurde damals in unseren Kreisen noch nicht als Opfer betrachtet, am Ort des Feierns auch zu nächtigen. So verbrachte man also auch den Vormittag zusammen und beschloss, einen Milieuwechsel vorzunehmen und den hiesigen Maibaum zu besuchen. Dort waren erwartungsgemäß schon einige fidele Dorfbewohner versammelt, und das Bier, das sie uns verkauften, half bald, die anfängliche Distanz zwischen ihnen und uns zu überwinden.

Wir standen schon einige Zeit so da, ich weiß noch, dass mir ein bisschen schlecht war, da bog plötzlich ein dunkler S-Klasse-Mercedes auf den Maibaumplatz ein, hielt, und ebenso plötzlich, einer scheinbar ausgeklügelten Choreographie folgend, stiegen zwei oder drei große Männer in dunklen Anzügen und die damalige niedersächsische Wirtschaftsministerin Birgit Breuel aus dem Wagen. Breuel, ihr Knittergesicht in die Runde gerichtet, balancierte schon im nächsten Augenblick, so meine Erinnerung, ein großes rundes Tablett mit regionsüblichen Schnäpsen auf der rechten Hand, und wir alle ließen es uns nicht nehmen, Nutznießer dieser plumpen Wahlkampfanmache zu werden. Das Tablett war dementsprechend schnell leer, und während wir noch den Kopf im Nacken hatten, hatte sich die Eiserne Birgit wieder auf den Rücksitz des Mercedes geschwungen, bereit für einen weiteren Versuch, Wählerstimmen mit Fürst Bismarck zu erkaufen.

Überrumpelt, verdutzt und beschwingt vom Alkohol und der Gewissheit, mal zur rechten Zeit am richtigen Ort gewesen zu sein, blieben wir am Maibaum zurück, dreizehn Jahre SPD-Regierung lagen vor uns.

Breuel hingegen stieg bald zur Treuhandchefin auf. Später hatte sie dann noch das Vergnügen, Organisationschefin der Expo 2000 zu sein.
© 2005 by derget p. | online seit 7272 Tagen